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Fallbeispiel: Ahmad A.

Ahmad A. kommt aus Syrien und ist seit 2015 in Deutschland. Im Jahr 2008 hat er in Syrien Abitur gemacht und im Anschluss eine Ausbildung im Bereich Informatik absolviert. Wegen des Krieges ist er nach Libanon geflohen, wo er bei einer französischen Organisation als Lehrer für Geflüchtete in einer Schule tätig war. In Deutschland möchte er gerne Informatik studieren.
 

man smiling

Mohamad B. kommt aus Syrien und ist seit 2015 in Deutschland. In seiner Heimat hat er bereits fünf Semester Medizin studiert. In Deutschland studiert er Zahnmedizin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

INTERPRETATION

Ich kann das Verhalten von Ahmad gut verstehen. Wir sind schon mehr als zwei Jahre hier in Deutschland und wissen, dass es wichtig ist Termine wahrzunehmen. Aber die Mitarbeiterin am Empfang hat Ahmad, der zum Termin erschienen ist, nicht zu seinem Sachbearbeiter reingelassen. Das finde ich nicht richtig. Kulturelle Gründe sehe ich hier eigentlich nicht. Das kann nur ein Missverständnis sein. Vielleicht hat sich eine Regel bei der Ausländerbehörde geändert. In diesem Fall hätte ich bei der Mitarbeiterin genauer nachgefragt, was los ist und ob sich eine Regel geändert hat.

Interpretationen
woman smiling

Mayyas E. (19) kommt aus Syrien und lebt seit 2016 in Deutschland. Sie ist in einer multikulturellen Stadt außerhalb des Zentrums von Damaskus aufgewachsen. Inzwischen studiert sie Anglistik / Nordamerikanistik und Empirische Sprachwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 

INTERPRETATION

Ich hab die Situation so interpretiert, dass Ahmad verärgert war, weil die Frau im Servicecenter unfreundlich und nicht hilfsbereit war, obwohl sie im Servicecenter arbeitet, wo man ja Service und Hilfe anbieten sollte. Die Ausländerbehörde ist für uns Geflüchtete sehr wichtig, denn wir bekommen dort alle unsere wichtigsten Dokumente und Papiere. Das machen wir alles dort mit unserem Sachbearbeiter. Und wenn wir diese Hilfe dort nicht bekommen, dann ist das sehr problematisch für uns. Für die Frau ist das vielleicht nur ihre Arbeit und sie geht um 15 Uhr nach Hause, aber für uns ist das unser ganzes Leben! Und deshalb war er sehr verärgert, weil sie ihm auch nichts erklärt hat, sondern ihn einfach nach Hause geschickt hat. Aber wenn er dann nach Hause gegangen wäre und dann eine Mail von seinem Sachbearbeiter bekommt, dass er hätte kommen müssen, dann kriegt er den Ärger. 

Ich glaube nicht, dass es kulturelle Gründe für sein Verhalten oder für das der Frau gibt. Es gibt auf jeden Fall Unterschiede zwischen Deutschland und Syrien, wie man mit anderen Menschen kommuniziert. Allgemein ist man in Deutschland eher direkt und ganz professionell. In Syrien ist das ein bisschen anders. Diese Wand zwischen den Menschen gibt es so nicht wirklich. Trotzdem glaube ich nicht, dass das in dieser Situation der Fall ist. Ich glaube, die Frau ist einfach nicht freundlich.

Ich wäre in so einer Situation einfach dort geblieben und hätte mehrmals versucht, mich mit meinem Sachbearbeiter zu treffen, weil das auch mein Recht ist. Er hatte ja auch einen Termin. Ich weiß nicht, warum die Frau sauer war, vielleicht war sie irgendwie schlecht gelaunt oder so, aber das ist ehrlich gesagt nicht mein Problem *lacht*. Also ich hätte versucht, meinen Sachbearbeiter zu sprechen oder irgendwie mehr Antworten zu bekommen. Das ist einfach mein Recht.

Ich kenne diese Situation auch selber. Nicht immer, aber sehr oft, trifft man Menschen, die irgendwie sauer oder genervt sind, ganz kurze Antworten geben und nichts wirklich erklären, obwohl wir das wirklich brauchen. Vor allem im Servicecenter oder Informationscenter, wo man ja diese Informationen kriegen soll. Dokumente wie der Aufenthaltstitel oder der Reisepass sind ja auch sehr wichtige Dokumente für uns. Mein Reisepass ist jetzt durch die Ausländerbehörde verloren gegangen. Ich habe also jetzt keinen gültigen Reisepass. Ich habe mehrmals dort angerufen und sie haben immer nur gesagt, sie finden ihn nicht. Und das ist halt einfach ein großes Problem.

Mann mit Schal

Peter K. (70) hat von 1966-2015 im öffentlichen Dienst gearbeitet und ist seit 2015 Pensionär. Von 1980-1990 war er in der Ausländerbehörde tätig.

INTERPRETATION

Es scheint so, dass man heutzutage bei der Ausländerbehörde zunächst in einem „Frontoffice“ bedient wird und nicht zu seinem Sachbearbeiter kommt. Offensichtlich gab es keine Probleme, so dass der Kunde eine Aufenthaltserlaubnis erhielt. Man sah wohl keine Notwendigkeit der Vorsprache beim Sachbearbeiter. Ebenso sah man wohl keine Notwendigkeit, dies dem Kunden vernünftig zu erklären. Dies ist, wenn es so war, natürlich zu kritisieren. Noch unmöglicher ist, keinen Augenkontakt zum Kunden aufzunehmen und weiter den PC zu „bedienen“.

Dieses kundenunfreundliche Verhalten ist natürlich zu verurteilen. Aus meiner Sicht und Erfahrung hat dies aber wenig mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Leider erlebt man dies sehr oft persönlich bei Behörden, aber auch in Geschäften bzw. Institutionen mit Kundenverkehr. Bei Behördenmitarbeitern habe ich aber auch oft den Verdacht, dass dieses Verhalten aus dem Bewusstsein einer Machtposition zu Tage tritt.

male portrait

Elias E. (36) hat insgesamt knapp vier Jahre im Ausland gelebt und Friedens- und Konfliktforschung studiert. 2015 hat er mit der Migrationsberatung begonnen und arbeitet jetzt als Referent beim Landesbeauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen.

INTERPRETATION

Leider habe ich in meiner Tätigkeit der Migrationsberatung immer wieder von ähnlichen Situationen gehört, in denen die Betroffenen das Gefühl hatten bei Behörden nicht einer freundlichen, sondern einer unfreundlichen Haltung gegenüber zu stehen. Die Frau am Service-Schalter begegnet dem Klienten bei der Aushändigung des Aufenthaltstitels mit offensichtlichem Missmut. Aber worüber? Dass er hier sein darf? Wünscht sie es sich anders? Aus Perspektive des Betroffenen drängt sich der Eindruck auf, diese abweisende Haltung sei Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit.

Ich denke aber, das Verhalten lässt sich auch harmloser interpretieren als Höchstmaß an Unprofessionalität. Ausländerbehörden sind wie wenige andere Institutionen einer extremen gesellschaftlichen Polarität ausgesetzt. Einerseits soll Willkommenskultur praktiziert werden. Andererseits wurden in der letzten Legislaturperiode von der Bundesregierung immer wieder auch rechtliche Verschärfungen vorgenommen um das Hineinwachsen in Bleiberechtsperspektiven zu erschweren. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Widerspruch für die Menschen in der Ausländerbehörde zermürbend ist. Einige Ausländerbehörden sind räumlich nicht gut ausgestattet und leiden seit vielen Jahren unter Personalmangel. Nach wohlwollender Interpretation könnte dieses Verhalten auch eine starke Überforderung zum Ausdruck bringen. Entschuldigen kann ich das Verhalten damit aber nicht.

Über die Reaktion von Ahmad A. freue ich mich. Denn er steht der Behörde zurecht nicht mit der Dankbarkeit eines Gnadenaktes, sondern mit einer Anspruchshaltung gegenüber. Wenn der Schalter „Service-Stelle" heißt, dann findet hier eine Dienstleistung statt. Und so verstehe ich auch staatliche Verwaltung. Als Dienstleistung an uns Bürger*innen. Das entspricht meinem Demokratieverständnis. Aber vor allem wünsche ich allen Ausländer*innen, dass sie den Anspruch haben, dass ihnen als gleichwertiger Mensch begegnet wird. Und ich wünsche ihnen, dass dieser Anspruch bei möglichst vielen Behördenkontakten erfüllt wird. Diese Hinwendung zu den Klient*innen als gleichwertige Menschen muss meiner Meinung nach von der Verwaltung strukturell stärker untermauert werden.

Frau auf Podium

Mareike P. (41) hat eine Ausbildung in der Verwaltung gemacht und arbeitet nun seit ca. 3,5 Jahren in der Zuwanderung, zuerst als Servicekraft am Tresen, jetzt als Sachbearbeiterin in der Einbürgerung. Sie war auch vorher bereits in sozialen Verwaltungsbereichen tätig, sowohl im Obdachlosenwesen als auch im Bereich Sozialhilfe für Heimbewohner.

INTERPRETATION

Ich denke, hier gibt es keine kulturellen Hintergründe, die zu diesem Erlebnis geführt haben. Es gab auf beiden Seiten möglicherweise einfach eine sehr unterschiedliche Erwartungshaltung. Der Kunde ging davon aus, dass er wie gewohnt zu "seinem" Sachbearbeiter geht und dort seine Dokumente erhält. Er hatte sich vllt. vorgenommen, noch etwas zu besprechen oder etwaige Fragen zu klären. In vielen Zuwanderungsbehörden ist es jedoch bereits seit längerem Praxis, dass die Dokumente nicht durch die Sachbearbeiter, sondern durch die Servicekräfte am Infotresen ausgehändigt werden. Die Servicekräfte am Infotresen verfügen im Regelfall nicht über das gleiche Fachwissen wie die Sachbearbeiter und können daher auch eventuelle Fragen nicht klären. Die Beantwortung von Fragen o.ä. ist für die reine Ausgabe der Dokumente nicht vorgesehen, da es auch zuviel Zeit kostet. Wahrscheinlich war der Kunde überrascht und verärgert, dass er keine Gelegenheit hatte, über seine Anliegen sprechen zu können. Die Servicekraft hingegen wollte wohl einfach nur die Dokumente ausgeben und sich dann zügig ihrer nächsten Aufgabe widmen. Es wäre meiner Meinung nach aber wünschenswert gewesen, dass die Servicekraft den Kunden hier nochmal freundlich auf diese Aufgabenteilung hinweist und ihn bittet, ggf. einen neuen Termin mit dem Sachbearbeiter zu vereinbaren um Fragen klären zu können. Möglicherweise stand die Servicekraft aber unter Druck, hatte noch viele andere Dinge abzuarbeiten und war daher möglicherweise gestresst oder genervt und hat die Verwirrung des Kunden gar nicht bemerkt oder sogar ignoriert. In vielen Zuwanderungsbehörden herrscht chronischer Personalmangel, das Stresslevel ist häufig sehr hoch. Aber dies soll keine Entschuldigung für eventuell unfreundliches Verhalten sein.

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