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Fallbeispiel: Wael Al M.

Wael Al M. (30) ist gebürtiger Syrer und lebt seit 2016 in Kiel. In Syrien hat er begonnen, Jura zu studieren. In Deutschland möchte er jetzt Politik studieren.

lächelnder Mann
Wael_Case
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Frau

Frauke M. (57) ist Juristin und seit 10 Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv.

INTERPRETATION

Wenn ich diese Geschichte höre, muss ich auch lachen. Ich glaube, ich hätte anstelle der deutschen Familie genauso reagiert und ich freue mich, dass die Frau nachgefragt hat und auf diese Weise die Möglichkeit gegeben hat, das aufzuklären.

Ich kenne selber auch Situationen mit unterschiedlichen Ess- und Höflichkeitsgewohnheiten und kann sowohl den syrischen Mann als auch die deutsche Familie gut verstehen. Ich bin öfter zum Essen bei einer syrischen Familie und da fallen mir auch Essgewohnheiten auf, die wir Deutschen so nicht haben. Während die Deutschen ja meistens alle zusammen lange am Tisch sitzen und gemeinsam essen, kommen bei den Syrern alle nur für den Moment des Essens zum Tisch und gehen dann wieder weg. Manchmal nehmen sie auch ihre Teller irgendwo mit hin und essen dort weiter. Ich persönlich empfinde das als sehr ungemütlich und unruhig, weil man ja schön miteinander gekocht hat und man als Deutsche nun gewohnt ist, dass man auch zusammen isst. Aber die sind ja auch miteinander, nur eben in dem Raum miteinander, nicht zwingend um den Tisch herum. Ich glaube, so hat sich Wael Al M. das auch gedacht. 

Interpretationen
lächelnde Frau

Lisa P. (23), geboren in Kiel, ist Philosophie-Studentin und hat in Australien, Kambodscha, Polen und der Türkei gelebt.

INTERPRETATION

Das ist ja der Klassiker bei den “cultural differences”: Beispiele rund ums Essen. Man kommt dabei immer relativ schnell darauf, dass es ein kultureller Unterschied sein muss und dann können auch alle darüber lachen. Ich frage mich in Bezug auf diese Situation allerdings, warum Wael Al M. so selbstverständlich davon ausgegangen ist, dass es hier so sein muss wie in seiner Gewohnheit. Integration ist zwar ein beidseitiger Prozess, wie wir alle wissen, wobei sich aber ja nicht beide Seiten in gleichem Umfang anpassen. Also ich stelle mir bei Integration vor, dass jemand, der neu in ein System hineinkommt, erst einmal beobachtet und durch Austausch die Möglichkeit hat, zu erlernen, was dort an der Tagesordnung ist. Man kann so seinen Platz finden, ohne seine eigene Identität aufgeben zu müssen. Das Ganze setzt meiner Meinung nach eine gewisse Neugierde voraus, für die Beobachtung wichtig ist. Man muss davon ausgehen, dass hier beim Essen einige Dinge anders gemacht werden als in seinem Heimatland. Wenn man also erstmal beobachtet, was alle anderen machen, kommt man ziemlich schnell dahinter, dass hier niemand aufsteht, bevor nicht alle fertig gegessen haben. So hätte ich das in dieser Situation jedenfalls gemacht.

male portrait

Khaled A. (23) stammt aus Syrien. Er hat früher als Elektroniker gearbeitet und möchte jetzt gerne ein Studium im Fach Elektrotechnik und Informationstechnik aufnehmen.

INTERPRETATION

Wael kannte die hiesigen Gewohnheiten noch nicht, darum wusste er nicht, wie man sich in Deutschland beim gemeinschaftlichen Essen verhält. Ich finde das persönlich nicht schlimm, da wir grundsätzlich so handeln, wie wir es gelernt haben. Ich würde dies aber nicht nur mit den Verhaltensregeln in Waels Heimatland erklären, da ich aus demselben Land komme wie er und man bei uns zu Hause auch erst vom Tisch aufgestanden ist, wenn alle mit dem Essen fertig waren. Er kommt aber aus einer anderen Region von Syrien. Möglicherweise sind die Gewohnheiten dort anders. Insofern sollte man vielleicht bei einer Erklärung seines Verhaltens auch immer regionale Gepflogenheiten berücksichtigen. 

Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich anfangs auch Schwierigkeiten gehabt, mich auf die hiesigen Verhaltensregeln einzustellen. Ich habe daher beobachtet, wie andere sich verhalten. Ich habe auch gemerkt, dass Deutsche sich freuen, wenn man lieber einmal nachfragt, wie man sich in einer bestimmten Situation verhält.

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