Fallbeispiel: Franzi C.
Interpretationen
Konstantin T. kommt aus Deutschland und studiert Klassische Archäologie und Skandinavistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Mutter ist deutsch, sein Vater stammt aus Griechenland. Konstantin hat für zehn Monate in Dänemark gelebt, wo es ihn auch nach dem Studium hinzieht.
INTERPRETATION
Die Person, die hier einkaufen gegangen ist, wollte sich in dem Laden einfach nur umschauen, wohingegen die Verkäuferin wahrscheinlich aus Höflichkeit und aus dem Verlangen heraus, Hilfe zu leisten und eine Dienstleistung zu erbringen, auf sie zugekommen ist. Franzi hat sich verfolgt gefühlt, während die südkoreanische Person einfach darauf gewartet hat, dass irgendwann der Moment kommt, in dem sie sagt: „Jetzt möchte ich gerne Hilfe haben.“ In Deutschland bittet man um Hilfe, wenn man Hilfe haben möchte. Man ist sehr eigenständig und möchte deswegen nicht jemanden haben, der sich in diesem privaten Augenblick des Einkaufens um einen bewegt und den eigenen “personal space” überschreitet. Man möchte ungestört sein, wenn man in der Öffentlichkeit ist. Ich kenne das auch selber. Wenn ich verreise und dann Menschen versuchen, mir auf der Straße oder im Kaufhaus irgendetwas anzubieten, dann werde ich auch ein bisschen so *seufzt*: „Ich möchte eigentlich einfach nur weitergehen,“ *lacht*, „könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen. Ich komme schon zu euch, wenn ich etwas von euch will!“
GOOD TO KNOW
In Konstantins Interpretation kommt die Raumorientierung (Proxemik) zur Sprache; er nennt es "personal space". Er spricht damit die nonverbale Kommunikation zwischen Menschen an, die sich durch räumliche Distanz ausdrückt. Dazu zählt auch, wie unterschiedliche Personen ihre Privatsphäre definieren. Das Nähe-Distanz-Bedürfnis bei Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Lebenswelten kann sehr stark voneinander abweichen. Nicht eingehaltene Distanzzonen können zu Irritationen führen, wie zum Beispiel in Franzis Fall. Das Verfolgen von der Verkäuferin empfindet sie als eine Verletzung ihrer Privatsphäre.
Tabea E. kommt aus Deutschland und studiert Soziologie und Politikwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
INTERPRETATION
Vielleicht ist die Verkäuferin der deutschen Person gefolgt, weil sie dachte, dass die Person etwas klauen wollte. Franzi hingegen hat sich verfolgt und unwohl gefühlt und ist dann natürlich gegangen. Ich frage mich, ob es vielleicht typisch deutsch ist, dass man so schnell wie möglich aus einer unangenehmen Situation raus möchte, es aber dann nicht schafft die andere Person damit zu konfrontieren und nicht offen darüber spricht? Aber ich finde es vollkommen verständlich, dass sie das Geschäft schnell verlassen wollte. Gerade in einem fremden Land wäre ich aus Unsicherheit auch einfach gegangen, um der Situation zu entkommen.
Jun K. (27) kommt aus Südkorea und studiert “International Trade” in seinem Heimatland. In seiner Freizeit reist er gerne durch die Welt. 2018 hat er hat ein Austauschjahr an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gemacht.
INTERPRETATION
Zuerst möchte ich sagen, dass die Situation auch für Koreaner unangenehm ist. Die Verkäufer wollen die Kunden nicht stalken. Sie folgen ihnen nur, um sie im Detail über ihre Produkte zu informieren, es ist also eine Verkaufstaktik. Die einzige kulturelle Erklärung, die ich dafür habe, ist, dass der Kunde in Südkorea König ist. Verkäufer glauben, dass sie die Kunden dazu bringen können, ihre Ware zu kaufen, indem sie ihnen dienen.
Yun S. kommt aus Südkorea und ist im Jahr 2019 für ein Semester als Austauschstudentin nach Kiel gekommen. An der CNU in Südkorea studiert sie Medienkommunikation (Bachelor). An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel besucht sie gerne Seminare mit einheimischen und anderen internationalen Studierenden und setzt sich mit ihrer eigenen Kultur und Identität auseinander.
INTERPRETATION
Ich denke, in Korea wird es als Pflicht eines Verkäufers angesehen, den Kunden zu dienen. Es ist dort normal und viele Koreaner wundern sich, wenn sie in Europa sind, warum sich hier nicht so intensiv um die Kunden gekümmert wird und ihnen nichts über die Produkte erklärt wird. Ich habe aber von nicht-koreanischen Bekannten schon häufiger gehört, dass wir Koreaner zu viel von Verkäufern erwarten. Es gehört in Korea aber einfach dazu, dass Verkäufer den Kunden behilflich sind. Wenn ich in Korea einkaufen bin, brauche ich keine Hilfe, da ich Koreanisch spreche und alles verstehe. Aber es fällt auch mir sehr schwer, die angebotene Hilfe abzulehnen. Ich muss es sehr höflich formulieren und fühle mich dabei unwohl. Ein kleiner Trick, um diese unangenehme Situation zu umgehen ist der Griff zum Einkaufskorb! Wenn man einen Einkaufskorb in der Hand hat, wird man von den Verkäufern in Ruhe gelassen. Das ist ein indirektes Zeichen, dass man keine Hilfe benötigt.